"Wir sind eine Gemeinde aus lebendigen Steinen …"

 

 

„…IM GESPRÄCH MIT…“
Ein Interview aus unserer Gemeinde

 

Das heutige Interview ist die angekündigte Fortsetzung der neuen Gesprächsserie „…IM GESPRÄCH MIT...“, die künftig in der VINZ!-App und auf der Gemeinde-Homepage www.harpen.ekvw.de in zeitlich loser Reihenfolge erscheint.

Lieber Michael Dettmann, herzlichen Dank vorab, dass Sie sich zu einem Interview in unserem Gesprächsformat „…IM GESPRÄCH MIT…“ bereiterklären.

Pfarrer Michael Dettmann und ich, wir kennen uns aus den kirchlichen Begegnungen seit längerer Zeit, haben uns im Vorgespräch zu diesem Interview auf eine persönliche Ansprache mit einem „Du Michael“ verabredet.

 

Michael, Du hast die ersten Lebensjahre, Kindheit und Jugendzeit, nicht in Bochum verbracht.  Wie wir im Ruhrgebiet sagen „wo kommste her“ und welchen schulischen Werdegang hast Du „durchlaufen“, der sicherlich auch mit außerschulischen Aktivitäten geprägt war?

Datteln. Da komm‘ ich her. Ein kleines Städtchen zwischen Ruhrgebiet und Münsterland mit ganz vielen Kanälen. In ihnen habe ich Schwimmen gelernt, die ersten Fische gefangen und an den Ufern als Jugendlicher all die Dinge gemacht, von denen Eltern besser nichts wissen sollten. Ich war Schüler des Comenius-Gymnasiums in Datteln. Diese Zeit habe ich wirklich genossen. Sogar ein Jahr mehr als die meisten anderen Schülerinnen und Schüler dort. Aber durch meine Ehrenrunde habe ich schon mit 15 Jahren meine Frau Silke kennengelernt. Mein Elternhaus lag nur 300m weit von der Schule entfernt. So war unsere Küche bekannt als „Gudruns Café“. Gudrun – so hieß meine Mutter - hat mich und meine Freunde so richtig umsorgt. Viele aus meiner Stufe trafen sich dort bei uns in der Küche während der Freistunden.

Wir durften unsere Jugend in einer Zeit erleben, in der uns die Gesellschaft das Gefühl gegeben hat, wirklich gebraucht zu werden. In meinem Freundeskreis diskutierten wir bis in die Nacht über Abrüstung, meckerten über Atomstrom und Franz Josef Strauß und retteten beim Pils die Welt. Höhepunkt meiner alternativen Sturm-und-Drang-Zeit war sicherlich die große Friedensdemo am 10. Juni 1982 in Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluss. Der BAP-Song „Zehnter Juni“ gehörte seitdem fest zum Repertoire unserer Schülerband.

 

Was hat Dich dazu gebracht, nach der Schule Theologie zu studieren und wo hast Du studiert?

Der gar nicht so fromme Wunsch Gitarre spielen zu können. Einer meiner ersten Berufswünsche war es, Rockstar zu werden. Allerdings sind eine Gitarre und der Unterricht eine ziemlich teure Sache. Der Kirchenmusiker in unserer Gemeinde jedoch besaß einige Instrumente, die er uns Kindern und Jugendlichen anvertraute. Er zeigte mir die ersten Akkorde. Ich „bezahlte“ seinen Unterricht damit, dass ich im Kindergottesdienst die Lieder begleitete. Und ganz ehrlich: Ein dankbareres Publikum als singende Kinder gibt es nicht. Und man fühlte sich wirklich so ein bisschen wie ein Rockstar.

So hatte ich zumindest schon mal einen Fuß in der Kirchentür. Irgendwann sollte es dann eine Kinder- und Jugendfreizeit der Gemeinde geben. Damals kannte man mich leider auch als – ich sag mal - einen nicht besonders einfachen Jugendlichen. Darum wollte mich der Pastor nicht mit auf die Freizeit nehmen. Der Mann aber, der die Freizeit bekochen sollte, hat sich für mich eingesetzt. Dank seiner Bemühung und einem kleinen „Jesus-Trick“, konnte ich mit auf die Freizeit. Diese Erfahrung hat mich geprägt. Von da an engagierte ich mich im CVJM und der Evangelischen Jugend der Gemeinde. Aus Rockstar als Berufswunsch war mittlerweile Pastor geworden.

Nach dem Abitur besuchte ich für ein Jahr das „Geistliche Rüstzentrum Krelingen“. In den Ohren eines friedensbewegten jungen Menschen ein ziemlich brutaler Name. Aber dort lernte ich Hebräisch und Griechisch. Neben Latein sind diese Sprachen Voraussetzung für das Theologiestudium. Und ungestörter als in Krelingen kann man Sprachen nicht lernen. Dort gibt es nur Heidschnucken und Fromme. Von Krelingen führte dann der Weg zur Ruhr-Universität Bochum.

 

Neben dem beruflichen Alltag in der Kirchengemeinde als verantwortlicher Pfarrer, gehst Du dem Vernehmen Interessen und Hobbys nach. Welche sind es, die Dich begeistern?

Wann immer es irgendwie möglich ist, bin ich mit einer Angelrute am Wasser. Ich liebe es, am Wasser zu sein und die Natur zu erleben. Schweden ist dabei sicherlich das Land, das davon jede Menge besitzt. Schweden ist Silkes und meine zweite Heimat geworden. Denn ich habe sogar das Glück mit einer Frau verheiratet zu sein, die mit mir die Angelei als Passion teilt. Und so stehen wir Seite an Seite mit der Fliegenrute und Wathose in unserem schwedischen Hausfluss und warten darauf, dass ein Lachs unsere Fliege nimmt, oder wir werfen vom Boot aus riesige Hechtköder an die Schilfkanten der vielen Schäreninseln. Einfach nur herrlich und Entspannung pur.

Und wenn wir den Fischen mal eine Pause gönnen, dann sind wir einfach so zu Fuß in den Wäldern oder Hochebenen unterwegs. Eine Zeit lang sogar noch für mehrere Tage zusammen mit unserem damaligen Labrador Schröder und dem Zelt.

 

Du bist mittlerweile schon seit 2016 Pfarrer unserer Kirchengemeinde. Wo warst Du in der Zeit vor Harpen und in welchen Aufgaben/Verantwortungen warst Du engagiert?

Nach dem 1. Examen musste ich erst einmal auf die Wartebank. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, aber es gab Mitte der 90ger Jahre zu viele Pfarramts-Studierende. Und so musste jede und jeder zunächst einmal 1 ½ - 2Jahre warten, bis ein Platz für die zweite Ausbildungsphase frei wurde.

Während dieser Wartezeit arbeitete ich an Wochentagen als Briefzusteller bei der Post und an den Wochenenden in einer Ziegelei.

Dann endlich startete die lang ersehnte zweite Ausbildungsphase. Ich wurde Vikar in Ickern, einem Stadtteil von Castrop-Rauxel. Ich erlebte eine herzliche und begeisternde Gemeinde mit einer erstaunlichen Willkommenskultur. Dazu wurde durch meinen Mentor Pfarrer Winckler in mir die Leidenschaft für die Arbeit mit Jugendlichen und Jugendfreizeiten in Skandinavien geweckt.

Meine erste Gemeindepfarrstelle war die Gemeinde Herbede am Kemnader See. Dort durfte ich von 2002 an für acht Jahre als Pfarrer arbeiten. Im Jahr 2010 wurde ich von der Landeskirche gefragt, ob ich als Pilot-Pastor zusammen mit der Creativen Kirche in Witten ein Gemeindeexperiment begleiten wolle. Inspiriert durch die anglikanische fresh-X Bewegung (Fresh expressions of church - neue Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens) sollten wir ausprobieren, ob es möglich ist, ohne festes Gemeindegebiet, eigener Kirche und Gemeindehaus Menschen zu einer Gemeinde zusammenzuführen. Allein die Art der inhaltlichen Angebote sollte die Menschen verbinden. Im Falle der Creativen Kirche ist dieses verbindende Element die Musik. Eine tolle Zeit, in der ich Kirche in ganz unterschiedlichen Formen und an ganz ungewöhnlichen Orten erlebt habe. Gottesdienste z.B. haben wir im Wittener Saalbau, in Kneipen, Turnhallen, Kaufhäusern oder einem Parkdeck gefeiert. Sicherlich andere Orte als eine alte St. Vinzentius-Kirche, aber auch irgendwie schön.

Und – natürlich – gab es da eine richtig tolle Jugendarbeit. Zusammen mit einem Jugendreferenten und einer Kirchenmusikerin begleitete ich die SoulTeens-Arbeit in Deutschland. Das ist eine christliche Jugendchor-Bewegung aus Norwegen. Bei den SoulTeens in Witten sangen 40 Jugendliche und an den Freitagen trafen sich 60-70 Jugendliche zu den Andachten.

 

Was hat Dich dazu bewegt, veranlasst, sich hier in unserer Gemeinde als hauptamtlicher Pfarrer einzubringen und Verantwortung zu übernehmen?

Die Arbeit als Pastor bei der Creativen Kirche war durch die Landeskirche zeitlich auf 6 Jahre begrenzt. Gegen Ende dieser Zeit war ich also auf der Suche nach einer neuen Gemeinde. Mittlerweile zeichnete sich die Wahl das Harpener Pfarrers Dr. Hagmann zum Superintendenten des Kirchenkreises Bochum ab. Seine Pfarrstelle wurde zur Wiederbesetzung ausgeschrieben. Pfarrerin. Ossenberg-Gentemann ermutigte mich, mich auf diese Pfarrstelle zu bewerben.

Tja, was soll ich sagen. Die Pfarrstelle versprach durch Pfarrerin Ossenberg-Gentemann und Diakon Lechelt, einem äußerst engagierten und selbstbewusstem Presbyterium, einem tollen Team aus hauptamtlich Beschäftigten, einer riesigen Schar ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und einer unvergleichlich schönen historischen Kirche fast so etwas wie das Vorzimmer zum Himmel zu werden. Und irgendwie schien ich darein gepasst zu haben. Immerhin wurde ich in die Pfarrstelle gewählt.

 

Wenn Du die zurückliegenden Jahre in unserer Gemeinde seit 2016 betrachtest, was waren für Dich bewegende Momente und vor allem, auf was war Dein Augenmerk besonders gerichtet?

Die Gemeinde Harpen kann viele Dinge. Besonders gut ist sie in Dingen, die groß sind. Dieses Interview entsteht wenige Tage vor dem Dorffest. Es sind aber nicht die Big Points, die mich in meiner Arbeit berührt haben, sondern mehr kurze gemeinsam zurückgelegte Wegstrecken mit Menschen, die ich begleiten konnte und die vielen Begegnungen.

Dabei liegt mir die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bis heute sehr am Herzen. Vor wenigen Tagen kamen wir von der Konfi-Freizeit zurück. Während solcher Zeiten – Freizeiten – da spüre ich jede Minute des Tages, warum ich Pastor werden wollte. Und: Im Kindergarten fühle ich mich immer noch wie ein Rockstar. Zwar etwas in die Jahre gekommen, aber es groovt immer noch.

Trotzdem will ich die Big Points nicht ganz hinten runterfallen lassen. Zwei Big Points, an die ich immer mit einer Gänsehaut denke, ist die Nacht auf dem Kjerag-Gebirge während einer Jugendfreizeit und natürlich Happy Birthday Jesus in der Nacht vor Heiligabend. Eine solche Nacht muss einfach jede und jeder mal erlebt haben. Ich bin so dankbar für dieses positiv bekloppte Team, mit dem ich diese Idee umsetzen darf.

 

Wie siehst Du heute die Institution Kirche rückblickend in der Entwicklung seit Deinem Theologiestudium und wie muss sie sich aus Deiner Sicht künftig „aufstellen“, um weiterhin für die Menschen da zu sein, um sie zu erreichen?

Wenn wir an die Zukunft der Kirche denken, haben wir uns meines Erachtens zu sehr daran gewöhnt, uns den Kopf zu zerbrechen über die Zahl der Pfarrstellen, die Finanzierung der Gemeinden, die Erhaltung unserer Gebäude und die Sicherung unserer Gottesdienste. Wir sprechen oft und intensiv darüber, wie wir die Strukturen der Kirche erhalten können. Das sind alles sehr wichtige Themen und all die Presbyterien und die Mitarbeitenden in den Kirchenämtern, die sich täglich mit solchen Fragen beschäftigen, verdienen unseren Dank und unsere Fürbitte.

Aber ich fürchte, die Zukunft der Kirche ist nicht davon abhängig, ob wir Antworten auf all diese Fragen finden. Kirche wird es immer geben. Davon bin ich fest überzeugt. Vielleicht nicht so, wie wir Kirche gewohnt sind. Sicherlich ganz anders. Aber es wird immer noch die Kirche Jesu Christi sein.

Kirche hat sich immer schon verändert. Solche Veränderungsprozesse sind nicht leicht und machen auch Angst. Veränderungen fühlen sich riskant und fremd an. So war es früher auch schon.

„Abraham, verlass deine Heimat“ - „Petrus, steig aus dem Boot“ - „Mose, führe mein Volk“ – „Maria, du wirst ein Kind bekommen“.

Gott und seine Gegenwart sind ganz oft draußen, außerhalb unserer gewohnten Glaubensheimat zu finden. Da, wo es ungemütlich zu sein scheint. Darum muss es in der Bibel immer wieder heißen: Sei mutig und stark! Fürchte dich nicht! Gott ist bei dir und er wird dich nicht im Stich lassen! Vertraue mir!

Vertrauen - ich glaube, das ist etwas, zu dem wir uns immer wieder selbst ermutigen müssen und andere Menschen einladen können. Denn Vertrauen ist etwas, was unsere Zeit bitter nötig hat. Und wenn wir etwas haben, mit dem wir als Kirche reich beschenkt worden sind, dann ist das eine riesige Sammlung von Geschichten, in denen auch mal etwas gut ausgegangen ist und in denen Vertrauen sich bezahlt gemacht hat.

Davon müssen wir einfach mehr erzählen! Wir brauchen mehr gute Nachrichten!

Es gibt sie wirklich!!

 

Ich danke Dir, dass Du Dich bereiterklärt hast, dass das Interview in der VINZ-App und auf der Homepage der Gemeinde veröffentlich wird.

Lieber Michael Dettmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

(Das Interview führte Eduard Bobiatynski)