"Wir sind eine Gemeinde aus lebendigen Steinen …"

Das heutige Interview ist die angekündigte Fortsetzung der neuen Gesprächsserie „….IM GESPRÄCH MIT..“, die künftig in der VINZ!-App und auf der Gemeinde-Homepage in zeitlich loser Reihenfolge erscheint.

 

Lieber Herr Superintendent Dr. Gerald Hagmann, herzlichen Dank vorab, dass Sie sich zu einem Interview in dem Gesprächsformat unserer Ev. Kirchengemeinde Bochum-Harpen „…IM GESPRÄCH MIT…“ bereiterklären.

Herr Dr. Hagmann, aus unserer erster Begegnung in der Kirchengemeinde Bochum-Harpen weiß ich, dass Sie nicht aus Bochum kommen.  Ich hatte Sie im Münsterland verortet. Wo, um im Bochumer-Slang zu bleiben „wo kommse denn her?“

Ja, da liegen Sie ganz richtig. Ich wohne zwar inzwischen schon mehr als mein halbes Leben in Bochum – seit 1996. Aber meine Heimat ist Burgsteinfurt. Das liegt rund 30 km nördlich von Münster – nicht ganz weit entfernt von der holländischen Grenze.

 

Im Gespräch zu diesem Interview haben Sie erwähnt, dass Sie christlich sozialisiert aufgewachsen sind, sowohl in der Kita als auch im Elternhaus. Hat sich das auch in der Schule fortgesetzt? Und eine Nachfrage habe ich noch zum Münsterland: Ist das nicht vor allem katholisch?

Ja, tatsächlich gibt es viele katholische Menschen im Münsterland. Ich war als Kind auch in einer katholischen Kita. Daran habe ich sehr gute Erinnerungen. Burgsteinfurt ist allerdings nicht ganz so katholisch wie das übrige Münsterland. Das hat natürlich historische Gründe: Graf Arnold IV. trat im 16. Jahrhundert zum Calvinismus über und unterstellte seine Grafschaften Bentheim, Tecklenburg und Steinfurt ebenfalls der evangelischen Seite. So lief das früher. Und darum haben sich in der Grafschaft Bentheim, im Tecklenburger und Steinfurter Land starke evangelische Traditionen mit starken evangelischen Gemeinden gebildet. Und in der Jugendarbeit einer starken evangelischen Gemeinde in Burgsteinfurt habe ich mich zu Schulzeiten engagiert. Der Religionsunterricht in der Schule hat mich zugegebenermaßen nicht so begeistert.

Wo und wie haben Sie sich denn in der Jugendzeit in der Gemeinde eingebracht?

Vor allem musikalisch. Ich habe rund 10 Jahre in einer kirchlichen Band Klavier und Keyboard gespielt. Aber auch die Orgel – und ich habe in einem Chor gesungen.

 

Herr Dr. Hagmann, wie hat sich Ihr theologischer Werdegang vom Studium in Münster und Bochum entwickelt? Über Ihre Pfarrstelle in der Kirchengemeinde Bochum-Harpen und letztendlich die Berufung in die Superintendentur des Kirchenkreises Bochum? Was hat Sie auf dem Weg dahin beeinflusst und vor allem so beeindruckt, dass Sie im Ruhrgebiet sesshaft wurden?

Wenn Sie nach dem theologischen Werdegang fragen: Der Beginn meines Studiums in Münster – also nahe der Heimat – war vor allem verbunden mit dem Erlernen der Sprachen, die die Voraussetzung für das weitere Studium der Theologie sind: Neben Latein werden auch altgriechisch und althebräisch vorausgesetzt. Das ist für viele Studierende und das war auch für mich eine riesige Hürde, die ich vor allem mit dem Studienort Münster verbinde. Nach meinem Wechsel nach Bochum habe ich mich tiefer und intensiver mit dem theologischen Studium beschäftigt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich auch nach meinem Theologischen Examen sozusagen freiwillig ein berufsbegleitendes Promotionsstudium angeschlossen habe, das ich erst im Jahr 2006, als ich den Gemeindedienst in Harpen aufgenommen habe, abgeschlossen habe. Nach fast 10 turbulenten und erfüllenden Jahren Pfarrdienst in der Gemeinde Harpen bin ich im Jahr 2015 zum Superintendenten des Kirchenkreises gewählt worden. Dieses Amt ist auch mit herausfordernden Aufgaben verbunden – aber der Abschied von der Gemeinde ist mir sehr schwergefallen. Da bin ich ganz ehrlich. Und ich denke noch immer sehr gern an die Zeit in Harpen zurück. Natürlich sind auch Freundschaften entstanden, die bis heute Bestand haben. Und das ist vermutlich auch ein Hauptgrund dafür, warum meine Frau und ich im Ruhrgebiet „sesshaft“ geworden sind: Wir haben hier viele tolle Menschen kennenlernen dürfen.

 

Wie haben Sie Ihre Jahre in der Kirchengemeinde Bochum-Harpen noch in bleibender Erinnerung? Waren es die Harpener Gemeindemitglieder, die Sie kennengelernt und die mit Ihnen das Gemeindeleben gestaltet haben?

Ja natürlich – es hängt natürlich mit den Menschen zusammen. Nicht ohne Grund gibt es in Harpen ja das Dorffest – weil Harpen schon irgendwie im besten Sinne des Wortes ein Dorf inmitten einer Großstadt ist. Man kennt sich in Harpen – und man hilft sich. Die Menschen sind füreinander da und haben Lust, gemeinsam etwas zu bewegen und richtig anzupacken. Und daher steht im sprichwörtlichen und auch im ganz realen Sinne die Kirche mitten im Dorf. Darauf kann man sich verlassen. Und darum war die Zeit in Harpen nicht nur prägend für mich und meine Frau und unsere drei Kinder, die alle in Harpen groß geworden sind. Sondern die Zeit war auch einfach richtig schön! Natürlich gab es auch mal Krisen und nicht alles ist geglückt. Sicher wird es auch Enttäuschungen gegeben haben – und ich bin sicher nicht allen Menschen und allen Aufgaben als Pfarrer und Seelsorger ausreichend gerecht geworden. Aber insgesamt habe ich schon das Gefühl: Es war eine richtig gute Zeit. Und es hat insgesamt gepasst.

 

In Ihrem Amt als Superintendent des Kirchenkreises Bochum stehen Sie in Verantwortung für alle Gemeinden. Was ist Ihre Vision für den Kirchenkreis Bochum und wie sehen Sie sich in Ihrer Führungsfunktion?

Während meiner Amtszeit in Harpen hat das Presbyterium nicht nur mutige Entscheidung zum Bau des neuen Gemeindehauses mit vielen Steinen oder große Sanierungsmaßnahmen der vielen, schönen alten Steine der St. Vinzentius-Kirche getroffen. Sondern wir haben auch eine Gemeindekonzeption auf den Weg gebracht. Und die basiert auf einem Leitbild, das wir gemeinsam entwickelt haben, in dem es auch um Steine geht: Die Gemeinde ist ein Haus lebendiger Steine. Ich habe es als meine Aufgabe als Pfarrer der Harpener Gemeinde gesehen, viele lebendige Steine der Gemeinde dazu zu motivieren, Verantwortung für ihre Kirche und für den kirchlichen Auftrag zu übernehmen: Ehrenamtliche für die Jugendarbeit, die Seniorenarbeit, das Presbyterium, die diakonische Arbeit und vieles mehr. Ich sah es als meine Hauptaufgabe an, lebendige Steine zu gewinnen, zu fördern, zu begleiten und zu motivieren. Und ganz ähnlich verstehe ich auch mein Amt als Superintendent. Ich kann und möchte kein Einzelkämpfer sein, sondern ich bemühe mich darum, Menschen zu gewinnen, die sich gemeinsam in den Dienst der Kirche stellen, die sich gemeinsam für die Kommunikation des Evangeliums in Wort und Tat einsetzen.

 

Die Institution Kirche, hier die Evangelische Kirche, soll Ihren Aussagen nach einen „Dienst an den Menschen“ wahrnehmen und abbilden. Daraus abgeleitet, wo „steht“ Ihre Kirche heute und welchen Weg muss sie beschreiten, damit sie auch künftig von den Menschen ernst genommen wird? Was gelingt hier heute nicht, welches sind die Hindernisse?

Der große Theologe Dietrich Bonhoeffer, nach dem die wunderschöne Harpener Friedhofskapelle benannt ist, hat mal den wichtigen Satz gesagt: Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Wenn sich die Kirche nur um sich selbst dreht, sich selbst bedauert oder sich selbst beklatscht, dann stimmt etwas nicht. Als Christinnen und Christen und als Organisation Kirche haben wir den Auftrag uns für benachteiligte Menschen einzusetzen – so wie Jesus es vorgemacht hat. Davon gibt es genug. In Bochum und in der Welt. Vieles läuft da ja auch schon gut – aber sicher können wir da auch noch mehr machen. Ich würde mir wünschen, dass uns das mit vereinten Kräften gelingt.

 

Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Hagmann, dass Sie sich bereiterklärt haben, dass das Interview in der VINZ-App und auf der Homepage der Kirchengemeinde Bochum-Harpen veröffentlicht werden kann.

Lieber Herr Dr. Hagmann, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

(Das Interview führte Eduard Bobiatynski, Presbyter der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum-Harpen)